Ausschluss des Rechtsbeistandes eines Zeugen

Leitsätze:

1. Der Ausschluss eines Rechtsbeistandes des Zeugen von der Zeugenvernehmung verstößt im allgemeinen gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Prinzip enthaltene Recht auf ein faires Verfahren. Er ist nur dann mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn er unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich ist.

2. Ist der Zeuge dazu berechtigt, einen Rechtsanwalt seiner Wahl als Rechtsbeistand hinzuzuziehen, kann dieser nur auf Grund gesetzlicher Regelung von der Vernehmung zurückgewiesen werden. Die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens steht seiner Anwesenheit nicht entgegen.

BVerfG, Beschluss vom 08.10.1974 – 2 BvR 747/73

Gründe:

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Rechtsstellung des Zeugen, der vor dem Richter im Beistand eines Rechtsanwalts seiner Wahl aussagen will, und die Zulässigkeit der Zurückweisung des von ihm beauftragten Rechtsanwalts von der Vernehmung.

I.

Die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) waren in einem Institut der Bundesanstalt für … beschäftigt. Sie hatten den Beschwerdeführer zu 1) mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, nachdem gegen den Institutsleiter ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden war. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) behaupten, sie seien im Zuge dieser Vorgänge nach eigenen Verfehlungen befragt worden, um sie zu beeinflussen und selbst einem Strafverfahren oder dienstrechtlichen Maßnahmen auszusetzen. Zu ihrer förmlichen Vernehmung als Zeugen durch den Untersuchungsführer im Rahmen des gegen den Institutsleiter eingeleiteten Disziplinarverfahrens erschienen sie daher in Begleitung eines amtlich bestellten Vertreters des Beschwerdeführers zu 1).

Auf Antrag des Beauftragten des Bundesdisziplinaranwalts schloß der Untersuchungsführer den Vertreter des Beschwerdeführers zu 1) vor der Vernehmung der Zeugen unter Hinweis auf die Parteiöffentlichkeit der Untersuchung im Sinne der §§ 58 ff. Bundesdisziplinarordnung — BDO — von der Teilnahme an den Vernehmungen aus. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) sagten anschließend nach Belehrung gemäß § 25 Satz 1 BDO in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Strafprozeßordnung — StPO — aus. Ihre Beschwerden gegen den Ausschluß des Rechtsbeistandes wies das Bundesdisziplinargericht durch gleichlautende Beschlüsse vom 23. August 1973 zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Beweiserhebungen durch den Untersuchungsführer seien grundsätzlich nicht öffentlich. Ein Recht des Zeugen auf Rechtsbeistand während der Vernehmung bestehe nicht. Der Zeuge bekunde im Prozeß, der gegen einen anderen gerichtet sei, eine persönliche Wahrnehmung über einen zurückliegenden Vorgang. Dabei sei eine rechtliche Beratung nicht denkbar, da es sich um die Bekundung von Tatsachen handle. Rechtsfragen könnten sich bei der Vernehmung eines Zeugen nur im Zusammenhang mit Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten ergeben, über die er von Amts wegen belehrt werde. Es bleibe dem Zeugen unbenommen, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen, wenn gegen ihm Maßnahmen im Sinne von § 70 StPO getroffen würden.

II.

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Beschlüsse des Bundesdisziplinargerichts.

1. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sie tragen vor:
Die Auffassung, der Zeuge bedürfe keines Rechtsbeistandes, weil er nur Tatsachen bekunde, treffe nicht zu und greife in unzulässiger Weise in ihre allgemeine Handlungsfreiheit und ihr Recht auf rechtliches Gehör ein. Der zugezogene Rechtsbeistand habe nicht ihre tatsächlichen Angaben als Zeugen überwachen, sondern lediglich auf die Wahrung ihrer Rechte dringen sollen, wie z. B. die Einhaltung des Zeugnisverweigerungsrechts und die Herrschaft über das Protokoll. Die Nichtöffentlichkeit der Untersuchung Stehe der Anwesenheit des Rechtsbeistandes, der als Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit verpflichtet sei, nicht entgegen.

2. Der Beschwerdeführer zu 1) rügt die Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG. In seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung sieht er sich beeinträchtigt, weil der Ausschluß des Rechtsbeistandes der Beschwerdeführer zu 2) bis 7) während ihrer Vernehmungen in seine anwaltliche Berufsausübung eingreife, ohne daß dafür eine Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG bestehe. Der Ausschluß der Öffentlichkeit im Disziplinarverfahren dürfe nicht auf den zur Verschwiegenheit verpflichteten Rechtsanwalt des Zeugen ausgedehnt werden. Selbst wenn man darin eine Regelung der Berufsausübung sehe, könne die erforderliche Abwägung zwischen den Interessen des Einzelnen und der Gemeinschaft nur zugunsten des Rechtsanwalts ausfallen.

III.

1. Der Bundesminister der Justiz hat ausgeführt:
Das Fehlen von Vorschriften in der Bundesdisziplinarordnung und der Strafprozeßordnung über den Rechtsbeistand von Zeugen lasse nicht darauf schließen, daß es den Zeugen grundsätzlich verwehrt sei, zur richterlichen Vernehmung mit einem Rechtsanwalt zu erscheinen und daß dem Rechtsanwalt ein entsprechendes Auftreten untersagt sei. Die Beratung eines Zeugen über die Ausübung des ihm zustehenden Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechts sei eine Rechtsangelegenheit im Sinne von § 3 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung — BRAO –, in der der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter sei. Gerade im Bereich des § 55 StPO könne der Zeuge die Belehrung über seine Rechte durch den Vernehmenden als nicht ausreichend zur zweckentsprechenden Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen ansehen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip sei für einen im förmlichen Disziplinarverfahren vernommenen Zeugen das Recht herzuleiten, sich jedenfalls dann in Anwesenheit eines Rechtsanwalts vernehmen zu lassen, wenn der Zeuge damit rechnen könne, im Zusammenhang mit den Untersuchungen selbst straf- oder disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.

2. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat ebenfalls die Ansicht vertreten, die zweckentsprechende Interessenwahrnehmung könne anwaltlichen Beistand, der Gegenstand eines selbständigen Mandats sein könne und standesrechtlich unbedenklich sei, während der Vernehmung des Zeugen erfordern. Gegenüber der regelmäßig abstrakt bleibenden richterlichen Belehrung werde der Zeuge, der im Beistand eines Rechtsanwalts erscheine, insbesondere in der für ihn gefährlichen Situation des § 55 StPO in die Lage versetzt, sein Auskunftsverweigerungsrecht voll auszuschöpfen. Der Hinweis auf die Nichtöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens verkenne die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und § 3 BRAO, der die Verfassungsgarantie der Berufsausübungsfreiheit für den Rechtsanwalt konkretisiere.

3. Der Deutsche Anwaltverein hat sich im gleichen Sinn geäußert und zusätzlich ausgeführt: Als Rechtsberater des Zeugen komme dem Rechtsanwalt allerdings keine prozessuale Funktion zu, so daß er keine weitergehenden prozessualen Rechte habe als der Zeuge. Eine Vertretung des Zeugen bei der Aussage scheide aus. Die Geheimhaltungspflicht des Zeugen im öffentlichen Dienst stehe seinem Recht auf anwaltlichen Rat nicht entgegen. Eine Zulassung des Rechtsanwalts zur Vernehmung des Zeugen lediglich nach pflichtgemäßem Ermessen sei zu unbestimmt, um die freie Berufsausübung des Rechtsanwalts in diesen Fällen wirksam zu regeln.

B.

I.

Gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden bestehen keine Bedenken.
Die angefochtenen Entscheidungen des Bundesdisziplinargerichts sind zwar gegenüber den Beschwerdeführern zu 2) bis 7) als Zeugen ergangen. Der Beschwerdeführer zu 1) hat jedoch dargetan, daß hierdurch zugleich in seine grundrechtlich geschützte Sphäre eingegriffen werde. Unter den vorliegenden besonderen Umständen ist er nicht gehalten gewesen, über die als Verfahrensbevollmächtigter der Beschwerdeführer zu 2) bis 7) betriebenen Beschwerdeverfahren hinaus auch selbst den Rechtsweg vor dem Bundesdisziplinargericht zu erschöpfen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Legt ein anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter für seine Auftraggeber, die sich durch seinen Ausschluß von der Beratung und Vertretung in ihren Rechten betroffen fühlen, Rechtsmittel ein, kann er davon ausgehen, daß seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und sein Recht, als der „berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten … vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden aufzutreten …“ (§ 3 Abs. 1 und 2 BRAO; vgl. auch BVerfGE 15, 226 [231]; 22, 114 [119 f.]; 34, 293 [299]), bei der Prüfung und Entscheidung berücksichtigt wird. Selbständige eigene Beschwerden des Beschwerdeführers zu 1) gegen die Maßnahmen des Untersuchungsführers sind daneben — gemessen an Sinn und Zweck des Erfordernisses der Erschöpfung des Rechtsweges (BVerfGE 4, 193 [198]; 9, 3 [7]; 16, 124 [127]) — entbehrlich; denn es kann nicht erwartet werden, daß darauf die Entscheidungen des Bundesdisziplinargerichts in der Sache anders lauten werden als die Entscheidungen auf die vom Anwalt eingelegten Beschwerden der Zeugen.

II.

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführer zu 2) bis 7) aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die ihnen zugrundeliegende Auffassung über die rechtliche Stellung des Zeugen in einem an strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen ausgerichteten justizförmigen Verfahren steht mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang (vgl. BVerfGE 9, 83 [88]; 17, 306 [313]; 19, 206 [215]; 19, 253 [257]).

1. a) Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren (BVerfGE 26,66 [71]). Es erschöpft sich nicht in der Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen, die sich in der Verpflichtung niederschlägt, daß staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben (BVerfGE 30, 1 [27]). Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen und Übergriffe der im vorstehenden Sinn rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.
Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet. Der Beschuldigte kann in jeder Lage des Verfahrens zu seiner Unterstützung, aber auch um seine Unabhängigkeit gegenüber den übrigen Verfahrensbeteiligten zu wahren, einen Verteidiger hinzuziehen (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 137 StPO). Das gleiche gilt für den Beamten im Disziplinarverfahren (§§ 26 Abs. 2 Satz 3, 40 BDO). Dagegen enthält das Verfahrensrecht keine positiv-rechtliche Regelung eines Rechts des Zeugen auf Rechtsbeistand, die den allgemein auch für ihn geltenden Grundsatz des § 3 Abs. 3 BRAO in die Verfahrensordnungen einfügt. § 3 Abs. 3 BRAO legt für jedermann das an sich selbstverständliche Recht nieder, sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vertreten zu lassen, damit er die Kenntnisse und Fähigkeiten des Rechtskundigen bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen benutzen kann. Die prozessuale Stellung und Funktion des Zeugen verwehren es ihm auf der Grundlage des geltenden Verfahrensrechts nicht, sich der richterlichen oder sonstigen Vernehmung im Beistand eines Rechtsanwalts zu unterziehen. Allerdings verfolgt der Zeuge kein selbständiges Ziel in dem gegen einen anderen gerichteten Verfahren. Rechte zur Verfahrensgestaltung stehen ihm nicht zu. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, über von ihm wahrgenommene Tatsachen Auskunft zu geben. Gleichwohl kann der Zeuge an dem Gegenstand seiner Aussage mit selbständigen, rechtlich geschützten Interessen beteiligt sein, wie das in den Zeugnis-, Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechten zum Ausdruck kommt. Dem Schutz des Zeugen im Verfahren dienen ebenso Vorschriften über die Belehrungspflichten, die Durchführung und den Ablauf der Vernehmung und die Vermeidung einzelner Fragen.

b) Die einem fairen Verfahren immanente Forderung nach verfahrensmäßiger Selbständigkeit des in ein justizförmiges Verfahren hineingezogenen Bürgers bei der Wahrnehmung ihm eingeräumter prozessualer Rechte und Möglichkeiten gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten gebietet es, auch dem Zeugen grundsätzlich das Recht zuzubilligen, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zu der Vernehmung hinzuzuziehen, wenn er das für erforderlich hält, um von seinen prozessualen Befugnissen selbständig und seinen Interessen entsprechend sachgerecht Gebrauch zu machen. Die Lage des Zeugen, der sich — wie die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) — in Erfüllung seiner allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflichten der Gefahr eigener Verfolgung aussetzt, weist enge Bezüge zu der Situation des Beschuldigten auf. Die Problematik seiner Aussage ist keine prinzipiell andere als die der Einlassung des Beschuldigten. Obwohl er formal als Zeuge vernommen wird, ist seine Lage doch sehr viel eher der eines Beschuldigten vergleichbar, der bereits als solcher belangt wird und der drohenden Sanktion nur näher steht. Materiell wird der Zeuge in sich vor allem einen potentiellen Beschuldigten sehen (vgl. Geerds in Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Ulrich Stock, 1966, S. 171, 185 f.). Dementsprechend ist das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO lediglich ein Ausfluß des allgemeinen, für den Beschuldigten in §§ 136, 163 a, 243 StPO und entsprechenden Vorschriften als selbstverständlich vorausgesetzten rechtsstaatlichen Grundsatzes, daß niemand gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszusagen.

Im Gegensatz zu dem Beschuldigten unterliegt der Zeuge grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht mit den sie sichernden Zwangsmitteln und Strafandrohungen bis hin zur Freiheitsentziehung. Er darf Belastendes nicht bloß verschweigen, sondern muss es ausdrücklich ablehnen, ihm gefährlich erscheinende Fragen zu beantworten (RGSt 57, 152 [153]; BGHSt 7, 127 [128]) mit den damit verbundenen ungünstigen Auswirkungen gegenüber Verfahrensbeteiligten und Öffentlichkeit. Frei vom Aussagezwang ist dieser Zeuge erst, wenn er sich selbständig und sachgerecht über die Ausübung oder Nichtausübung des Auskunftsverweigerungsrechts entscheiden kann. Das gebietet die Achtung vor der freien Entschließung eines Menschen, auch wenn auf ihm der Verdacht strafbaren oder anderweitig verfolgbaren Verhaltens ruht.

Durch das in § 55 Abs. 2 StPO und anderen Vorschriften zum Ausdruck kommende Belehrungsprinzip wird das nicht in allen Fällen erreicht. Der im allgemeinen rechtsunkundige Zeuge wird regelmäßig selbst bei fehlerfreier Belehrung die rechtlichen Folgen seiner Angaben für ihn nicht sicher übersehen und den Umfang und die Grenzen seines Auskunftsverweigerungsrechts nicht zweifelsfrei erkennen können. Es sind Rechtsfragen, ob, wann und in welchem Umfang im Zuge einer Aussage die Auskunft auf einzelne Fragen abgelehnt werden kann. Weder der Vernehmende noch die anderen Verfahrensbeteiligten vermitteln dem Zeugen die zu ihrer Beurteilung erforderlichen Kenntnisse der zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Bezüge zwischen den verlangten Angaben und den Umständen, aus denen ihm eigene Verfolgung droht. Wollte er von ihnen eine Entscheidungshilfe erwarten, müßte er sich offenbaren und damit der Gefahr aussetzen, vor der ihn das Gesetz schützen will. Ein Recht auf Rechtsbeistand gewährleistet dem Zeugen demgegenüber um der Chancengleichheit willen die Möglichkeit, seine prozessualen Befugnisse umfassend und sachgerecht wahrzunehmen. Den Zeugen auf eine vorbereitende Rechtsberatung oder darauf zu beschränken, eine Unterbrechung zum Zweck der Beratung durch einen abwesenden Rechtsbeistand anzuregen, würde seinen Interessen nicht gerecht.

c) Der Zeuge darf ungeachtet seiner prozessualen Funktion als Beweismittel nicht zum bloßen Objekt eines Verfahrens gemacht werden (BVerfGE 27, 1 [6]). Zwar gehört er nicht zu den „Parteien“ des Verfahrens. Seine passive Rolle im Verfahren läßt jedoch unberührt, daß der durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsbereich des Zeugen (BVerfGE 33, 367 [374] m. w. N.) den Einwirkungen des Verfahrensrechts und seiner Anwendung durch die Verfahrensbeteiligten entzogen ist. Soweit sich der Rechtsstaat in dem Grundrechtsschutz verkörpert und zu diesem Zweck die Mäßigung der staatlichen Gewalt verlangt, muss staatliches Handeln den Menschen in seiner Eigenständigkeit achten und schützen. Der rechtsstaatliche Gehalt des in Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Grundsatzes, daß über die Rechte des Einzelnen nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt werden darf (BVerfGE 9, 89 [95]), liegt in der aktiven Teilnahme des Bürgers an dem ihm zukommenden Rechtsschutz.

Die Rechtsprechung hat seit langem das Recht des Zeugen, etwaige Verfehlungen geheimzuhalten, als ein Persönlichkeitsrecht anerkannt (BGHst 1, 39 [40]; 10, 186 [169]; 11, 213 [216 f.]; 17, 245 [246]). Es ist von der Achtung vor seiner menschlichen Würde geprägt, die sich darin mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Unschuldsvermutung und der Einlassungsfreiheit verbindet. Das Recht des Zeugen, in dem Konflikt zwischen Aussage- und Wahrheitspflicht und der Gefahr eigener Belastung bestimmte Angaben zu verweigern, wird in Frage gestellt, wenn man ihn auf die vom Ermessen anderer Verfahrensbeteiligter abhängige Belehrung verweisen und auf seine laienhafte Entscheidung ohne sachverständige Hilfe beschränken, den im allgemeinen rechtsunkundigen Zeugen also letztlich den Reaktionen anderer Verfahrensbeteiligten auf seine besondere Konfliktslage ausliefern würde. Ein unabhängiger und von ihm selbst gewählter und ihm zur Hilfe verpflichteter Rechtsbeistand ermöglicht es dagegen dem Zeugen, zur sachgerechten und seinen Interessen entsprechenden Wahrung und Ausübung seiner prozessualen Rechte und Möglichkeiten auf den Gang und das Ergebnis des Teils des Verfahrens, der seine Vernehmung umfaßt, Einfluß zu nehmen (BVerfGE 9, 89 [95]; 26, 66 [71]) und daran im eigentlichen Sinn teilzunehmen.

2. Das Recht auf ein faires Verfahren, das den Zeugen davor bewahrt, von anderen Verfahrensbeteiligten als bloßes Objekt eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens behandelt zu werden, gewährleistet jedoch dem Zeugen im Rahmen der besonderen Ausgestaltung des durch Art. 2 Abs. 1 GG verkörperten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in § 3 Abs. 3 BRAO nicht schlechthin ein allgemeines Recht auf Rechtsbeistand. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muss vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, solange sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (BVerfGE 33, 367 [377]). Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (BVerfGE 33, 367 [383] m. w. N.). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung anerkannt, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont und die Aufklärung schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 34, 238 [248] m. w. N.).

a) Die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung beruhen im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis, der nicht über die gesetzlichen und vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Beschränkungen (vgl. BVerfGE 33, 367 [374 f.]) hinaus mehr als unvermeidbar beeinträchtigt werden darf. Für die Beurteilung unter diesem Gesichtspunkt ist hier wichtig, daß der Rechtsbeistand des Zeugen nicht mehr Befugnisse haben kann, als dieser selbst. Selbständige Antragsrechte, Akteneinsicht oder etwa die Anwesenheit außerhalb der Vernehmung des Zeugen (§§ 58 Abs. 1, 243 Abs. 2 StPO) stehen ihm nicht zu. Eine Vertretung des Zeugen bei der Aussage scheidet selbstverständlich aus. Der Zeuge hat im allgemeinen keine rechtliche Möglichkeit, eine Unterbrechung seiner Vernehmung herbeizuführen. Er muss daher von vornherein in Begleitung eines Rechtsbeistandes erscheinen, falls er das in Anbetracht des ihm im allgemeinen rechtzeitig bekannten Beweisgegenstandes für erforderlich hält. Entstehende Kosten trägt der Zeuge, der den Rechtsbeistand ausschließlich im eigenen Interesse heranzieht.

Unter diesen Umständen weicht das Recht auf Rechtsbeistand weder die Aussage- und Wahrheitspflicht des Zeugen auf noch beschränkt es die Beweismöglichkeiten in sonstiger Weise, soweit die Anwesenheit und begleitende Beratung des Rechtsbeistandes dem Zeugen die Einhaltung der in den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten zum Ausdruck kommenden Grenzen seiner Pflichten eigenständig von vornherein gewährleisten soll. Es bewahrt davor, die gesetzlichen Möglichkeiten der Wahrheitsermittlung zu Lasten des rechtsunkundigen Zeugen zu erweitern, und begegnet damit den von der Rechtsprechung entwickelten nachträglichen Verwertungsverboten in unzulässiger Weise zustandegekommener Aussagen.

b) In anderen Fällen können ebenfalls rechtsstaatliche Bedenken gegen die Vernehmung des Zeugen unter Ausschluß seines Rechtsbeistandes bestehen, denen in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden muss. Nicht jeder Zeuge ist imstande, das, was er als sein Wissen ausdrücken will, auch zutreffend zum Ausdruck zu bringen. Bei ungeschickten, ängstlichen oder aus anderen Gründen in ihrer Aussagefähigkeit und -bereitschaft behinderten und gehemmten Zeugen kann der Rechtsbeistand aus seiner häufig besseren Kenntnis des Wissens des Zeugen dazu beitragen, Aussagefehler des Zeugen und Mißverständnisse der Verfahrensbeteiligten zu vermeiden. Er kann dem Zeugen nicht nur zu seinem Recht verhelfen, sein Wissen zur Sache im Zusammenhang vorzutragen, sondern ihn auch darin unterstützen, Angriffe abzuwehren, die mit seinem Anspruch auf angemessene Behandlung und Ehrenschutz unvereinbar sind, und nicht erforderlichen Fragen nach entehrenden Tatsachen (§ 68 a StPO) sowie unzulässigen, ungeeigneten und nicht zur Sache gehörenden Fragen (§ 241 Abs. 2 StPO) auszuweichen. Aus ihrer Beantwortung können sich für den Zeugen auch außerhalb der Grenzen eines Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechts Weiterungen ergeben, wie beispielsweise die Abgabe von Werturteilen oder die Gefahr von Ermittlungen und Verfahren wegen Falschaussage und Meineides. Mit Hilfe seines Rechtsbeistandes kann der Zeuge ferner leichter Einfluß auf die Protokollierung seiner Aussage nehmen, deren Wiedergabe durch den Vernehmenden oder den Protokollführer erfahrungsgemäß mißglücken kann. Schließlich kann dem Verlangen des Zeugen nach Entfernung des Beschuldigten (BGHSt 22, 18 [20 f.]; BGH in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, 1970, S. 111 f.) oder Ausschluß der Öffentlichkeit zum Schutz seiner Privatsphäre oder etwa eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses im Einzelfall besondere Bedeutung zukommen.

c) Das Rechtsstaatsprinzip zieht jedoch einem allgemeinen Recht des Zeugen auf Rechtsbeistand Grenzen. Es wäre mit dem Postulat der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege nicht vereinbar, den Rechtsbeistand des Zeugen in allen Fällen ohne Einschränkungen zuzulassen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt vielmehr eine Abwägung zwischen dem Anspruch des Zeugen und dem öffentlichen Interesse an der Effizienz des Strafprozesses und ähnlicher Verfahren, die die Behörden und Gerichte unter Abwägung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen haben. Für die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes bedarf es daher stets einer besonderen rechtsstaatlichen Legitimation, die sich in unterschiedlicher Ausprägung aus der jeweiligen besonderen Lage des Zeugen, insbesondere aus den ihm im eigenen Interesse eingeräumten prozessualen Befugnissen bei der Erfüllung der allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflichten ergibt. Das Bundesdisziplinargericht hat das in den angefochtenen Entscheidungen gegenüber den Beschwerdeführern zu 2) bis 7) verkannt, indem es von einer Abwägung unter Berücksichtigung verfassungsmäßiger Bewertungsmaßstäbe (vgl. BVerfGE 27, 211 [219]; 27, 344 [353]) abgesehen hat.

3. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG scheidet daneben aus. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nur das rechtliche Gehör als solches gewährleistet, nicht das rechtliche Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (BVerfGE 9, 124 [132]; 31, 298 [301]; 31, 306 [308]). Ein Recht des Zeugen, einen beratenden Rechtsbeistand zu seiner Vernehmung hinzuzuziehen, kann daraus nicht entnommen werden.

III.

Dessen ungeachtet gilt: Der Rechtsanwalt ist in besonderem Maße geeignet und berufen, dem Zeugen rechtlichen Beistand zu leisten. Die angefochtenen Beschlüsse greifen deshalb zugleich in die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers zu 1) als Anwalt ein, dessen amtlich bestelltem Vertreter die Wahrnehmung eines erheblichen Teils der Beratungsaufträge der Beschwerdeführer zu 2) bis 7) verwehrt worden ist.

1. Die umfassende Beratung in Rechtsangelegenheiten aller Art gehört zu den wesentlichen Berufsaufgaben des Rechtsanwalts. Dieses Recht ist durch § 3 Abs. 1 und 2 BRAO gewährleistet, wonach der Rechtsanwalt als der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden auftreten kann. Es sichert die anwaltliche Berufsausübung in den Grenzen, die dem Rechtsuchenden durch § 3 Abs. 3 BRAO, durch entsprechende Vorschriften der Verfahrensordnungen und durch die Anforderungen der Verfassung an ein rechtsstaatlich geordnetes Verfahren gezogen sind. Insoweit hat es Teil am Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG (für den Rechtsanwalt als Verteidiger BVerfGE 15, 226 [231]; 22, 114 [119 f.]; 34, 293 [299]).

2. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung bedarf der gesetzlichen Grundlage (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), die in jeder Hinsicht verfassungsmäßig sein muss (vgl. BVerfGE 34, 293 [299]). Soweit nach dem oben Dargelegten dem Zeugen ein Recht auf Rechtsbeistand nicht abgesprochen werden kann, rechtfertigt die Nichtöffentlichkeit der Vernehmung oder des gesamten Verfahrens, auf die das Bundesdisziplinargericht die angegriffenen Beschlüsse gestützt hat, den Ausschluß des beratenden Rechtsanwalts schon deswegen nicht, weil sie durch die Anwesenheit des Rechtsanwalts in dieser Funktion nicht verletzt wird. Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Sein Beruf ist ein staatlich gebundener Vertrauensberuf, der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist. Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Als Rechtsbeistand des Zeugen hat er dadurch bei dessen Vernehmung eine besondere Stellung, die der eines Verfahrensbeteiligten ähnlich ist. Besonderheiten des Disziplinarverfahrens, die zu einer abweichenden Auffassung führen könnten, gibt es nicht. Eine andere Rechtsgrundlage für den Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung des Beschwerdeführers zu 1) findet sich nicht.
Allerdings hindert die Einbeziehung des anwaltlichen Rechtsbeistandes des Zeugen in den Kreis der Verfahrensbeteiligten im weiteren Sinn grundsätzlich nicht daran, den Rechtsanwalt von der Teilnahme an der Vernehmung des Zeugen auszuschließen, wenn sie erkennbar dazu mißbraucht wird, eine geordnete und effektive Beweiserhebung zu erschweren oder zu verhindern und damit das Auffinden einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung zu beeinträchtigen. Reichen dafür die rechtlichen Möglichkeiten der §§ 176 ff. Gerichtsverfassungsgesetz nicht aus, ist der Gesetzgeber mangels sonstiger gesetzlicher Zurückweisungsgründe aufgerufen, entsprechende Regelungen unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht zur Entziehung der Verteidigungsbefugnis ausgesprochenen Grundsätze zu treffen.

IV.

Die angegriffenen Beschlüsse waren aufzuheben und die Sachen an das Bundesdisziplinargericht zurückzuverweisen. Den Beschwerdeführern sind gemäß § 34 Abs. 4 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Erstattungspflicht trifft die Bundesrepublik Deutschland, der die erfolgreich gerügten Grundrechtsverletzungen zuzurechnen sind.

Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.