Durchsicht von Papieren bei der Durchsuchung

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Papiere im Sinne von § 110 StPO sind alle Gegenstände, die wegen ihres Gedankeninhalts Bedeutung haben, namentlich alles private und berufliche Schriftgut, aber auch Mitteilungen und Aufzeichnungen aller Art, gleichgültig auf welchem Informationsträger sie fest gehalten sind, somit auch elektronische Datenträger und Datenspeicher.

2. In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die hierbei einen eigenverantwortlichen Ermessensspielraum hat.

3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Durchsicht zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu dem Ergebnis zu gelangen, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll. Für die Prüfung der Einhaltung der entsprechenden Entscheidungsgrenzen steht dem Beschwerdeführer der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog offen.

BGH, Beschluss vom 5. August 2003 – 2 BJs 11/03 (5 StB 7/03)

Tenor:
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. Mai 2003 – 2 BGs 141/2003 – wird mit der Maßgabe verworfen, dass es in der Beschlussformel an Stelle von „die Beschlagnahme folgender Gegenstände richterlich bestätigt“ heißt „die vorläufige Sicherstellung folgender Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht richterlich bestätigt“.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer R. sowie gegen die Mitbeschuldigten G. , K. , S. u. a. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 StGB).

Der zwischenzeitlich in Untersuchungshaft genommene Beschuldigte G. soll Anfang 2003 unter anderem mit der Absicht nach B. gekommen sein, im Auftrag eines internationalen terroristischen Netzwerks gewaltbereiter Islamisten eine selbständige terroristische Vereinigung zu gründen. Zu diesem Zweck habe er gewaltbereite arabische Studenten und Asylbewerber anwerben, sie zu einem selbständigen Verband auf Dauer zusammenschließen und ausbilden sollen, um in den folgenden Monaten, insbesondere nach Beginn des „Irak-Krieges“, in Deutschland Sprengstoffanschläge zu verüben. Der Beschwerdeführer habe diese Pläne gekannt, gebilligt und aktiv unterstützt. So habe er Räumlichkeiten der A. -Moschee in B. , an der er Imam gewesen sei, zumindest kurzzeitig zur Anwerbung und Ausbildung der künftigen Terroristen zur Verfügung gestellt, bevor diese Aktivitäten aus Angst vor Entdeckung an einen anderen Ort verlagert worden seien.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluß vom 20. März 2003 – 2 BGs 82/2003 – die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers in der M. str. 2 a, B. angeordnet. Die Anordnung wurde am selben Tag – zeitgleich mit weiteren Durchsuchungen – vollzogen. Hierbei wurden handschriftliche Notizen, Adreßbücher, persönliche Unterlagen, elektronische Datenträger, Visitenkarten sowie ein PC sichergestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Formel des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Nachdem der Beschwerdeführer die Freigabe dieses Materials begehrte, hat der Generalbundesanwalt beantragt, gemäß § 94 Abs. 1 und 2, § 98 Abs. 2 Satz 2, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO „die Beschlagnahme richterlich zu bestätigen“. Diesem Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 2. Mai 2003 – 2 BGs 141/2003 – entsprochen.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen diesen Beschluß und beantragt, ihn aufzuheben.

II.

Die auf Freigabe der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände gerichtete Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Ergebnis zu Recht die vom Beschwerdeführer angestrebte Freigabe der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände, wie sie in der Beschlußformel aufgelistet sind, abgelehnt. Allerdings bedürfen der angefochtene Beschluß und der ihm zugrundeliegende Antrag des Generalbundesanwalts der Auslegung und Klarstellung. Entgegen dem Wortlaut der Entscheidungsformel und des Antrags handelt es sich noch nicht um die richterliche Bestätigung einer Beschlagnahme. Die Durchsicht des sichergestellten Materials, die erst der Klärung und Entscheidung dient, ob die vorläufig sichergestellten Unterlagen zurückzugeben sind oder die richterliche Beschlagnahme zu erwirken ist (vgl. BGHR StPO § 304 Abs. 5 Rechtsschutzbedürfnis 1), war – wie sich aus der Begründung des Antrags des Generalbundesanwalts vom 17. April 2003 ergibt – wegen des Umfangs der Asservate noch nicht abgeschlossen, sondern dauerte an, so daß die Beweisbedeutung der Gegenstände für die Untersuchung noch ungeklärt war. Entsprechend dieser Verfahrenssituation sind der Antrag des Generalbundesanwalts und der angefochtene Beschluß dahin auszulegen, daß nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme, sondern der vorläufigen Sicherstellung der Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht beantragt und beschlossen wurde. Der Senat hat dies durch Neufassung der Beschlußformel klargestellt.

Da das Verfahren in diesem Stadium der Durchsuchung zugeordnet ist (vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 144, 145 m. w. N.), ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht anhand der Beschlagnahmevorschriften (§ 94, § 98 StPO), sondern anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Durchsuchung (§ 102, § 103 StPO) und der Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) zu beurteilen.

2. Die Voraussetzungen für die gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten gerichtete Durchsuchungsanordnung liegen vor (§ 102, § 105 StPO).

a) Der Beschwerdeführer ist nach den bisherigen Ermittlungen jedenfalls der Beihilfe zur versuchten Gründung einer terroristischen Vereinigung verdächtig (§ 129 a Abs. 1, § 22, § 23 Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB). Für die Zulässigkeit einer Durchsuchung gemäß § 102 StPO reicht der durch Tatsachen konkretisierte Verdacht aus, daß eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (vgl. Nack in KK 5. Aufl. § 102 Rdn. 1 m. w. N.). Ein derartiger Verdacht ergibt sich hier insbesondere aus Berichten von Vertrauenspersonen über Treffen des Beschwerdeführers mit anderen Mitbeschuldigten und den Inhalt der dabei geführten Gespräche, in denen unter anderem ein geplanter Sprengstoffanschlag des Mitbeschuldigten G. gebilligt wurde, sowie zu der mit Einverständnis des Beschwerdeführers erfolgten Anwerbung und Ausbildung gewaltbereiter islamischer Studenten und Asylbewerber in Räumen der A. -Moschee, in der er Imam und somit Hausherr war. Mit Blick auf die Tat, derer der Beschwerdeführer verdächtig ist, sowie auf das für sie generell typische, konkret auch durch Angaben der Vertrauensperson belegte konspirative Zusammenwirken der Beteiligten lagen auch tatsächliche Anhaltspunkte vor, daß sich in der Wohnung des Beschwerdeführers Gegenstände befinden, die – etwa weil sie Erkenntnisse zu den Strukturen und Mitgliedern der zu gründenden Vereinigung vermitteln – als Beweismittel für das Verfahren in Betracht kommen können.

b) Der Beschluß vom 20. März 2003, in dem der Beschuldigte als der Gründung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a Abs. 1 StGB verdächtig bezeichnet wird, erfüllt auch die formellen Voraussetzungen eines Durchsuchungsbefehls. Die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten ergab, sind mit Blick auf den zum Zeitpunkt der Anordnung vorhandenen Erkenntnisstand entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ausreichend dargestellt. Insbesondere sind die von Vertrauenspersonen geschilderten Treffen und die dabei geführten Gespräche in der Beschlußbegründung enthalten. Die Durchsuchungsanordnung verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie steht in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftat und der Bedeutung des sich daraus ergebenden Aufklärungsinteresses.

3. Die vorläufige Sicherstellung der Gegenstände des Beschwerdeführers sowie ihre Mitnahme zur Durchsicht sind ebenfalls nicht zu beanstanden.

a) Die vorläufige Sicherstellung der in der angefochtenen Entscheidung bezeichneten Gegenstände hält sich in den Grenzen des Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. März 2003, mit dem die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers gestattet wurde. Denn dieser nannte als Zweck der Durchsuchung unter anderem die Sicherstellung schriftlicher und elektronischer Unterlagen, etwa von Korrespondenz zwischen den Beschuldigten, Notizen, Telefonbücher sowie Reise- und Kontounterlagen, die die mögliche Einbindung des Beschwerdeführers in die terroristische Vereinigung und seine engen Kontakte zu anderen Vereinigungsmitgliedern belegen.

b) Die vorläufig sichergestellten Unterlagen sind Papiere im Sinne von § 110 StPO oder ihnen gleichzusetzen. Die Vorschrift erfaßt alle Gegenstände, die wegen ihres Gedankeninhalts Bedeutung haben, namentlich alles private und berufliche Schriftgut, aber auch Mitteilungen und Aufzeichnungen aller Art, gleichgültig auf welchem Informationsträger sie festgehalten sind, somit auch alle elektronischen Datenträger und Datenspeicher (vgl. Nack in KK 5. Aufl. § 110 Rdn. 2 m. w. N.).

c) Schließlich konnten die Unterlagen aus der Wohnung des Beschwerdeführers mitgenommen werden, weil ihre Beschaffenheit eine sofortige Durchsicht an Ort und Stelle nicht ermöglichte. In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die hierbei einen eigenverantwortlichen Ermessensspielraum hat (vgl. BGH NJW 1995, 3397). Nach Mitteilung des Generalbundesanwaltes ist die erforderliche Prüfung noch nicht abgeschlossen. Für eine Überschreitung des Ermessensspielraumes der Ermittlungsbehörde ergeben sich derzeit keine Anhaltspunkte.

Indessen verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß die Durchsicht zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu dem Ergebnis zu gelangen, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll (vgl. LG Frankfurt wistra 1997, 117, 118). Für die Prüfung der Einhaltung der entsprechenden Entscheidungsgrenzen steht dem Beschwerdeführer der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog offen (vgl. BVerfG NStZ 2002, 377, 378).

4. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Der Generalbundesanwalt hat der Verteidigung in rechtlich unbedenklicher Weise bisher nur teilweise Akteneinsicht gewährt (§ 147 Abs. 2 StPO). Die Ermittlungen dauern derzeit noch an. Das Einsichtsrecht in die vollständigen Akten gemäß § 147 StPO steht dem Beschwerdeführer erst nach Abschluß der Ermittlungen zu. Ein gegenüber dem Beschuldigten vorläufig bestehender Informationsvorsprung der Strafverfolgungsbehörden ist wegen ihres Auftrags, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden, grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 1994, 551, 552). Im übrigen hat der Verteidiger des Beschuldigten den Durchsuchungsbeschluß vom 20. März 2003, die Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers vom 21. März 2003 und den Antrag des Generalbundesanwalts auf „richterliche Beschlagnahme“ erhalten, in welchen die wesentlichen Gesichtspunkte zusammengefaßt und dargestellt sind. Hierdurch ist er auch darüber informiert worden, auf welchen tatsächlichen Grundlagen der Durchsuchungsbeschluß beruht, und hat die Informationen erhalten, die er benötigt, um die Belange des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren effektiv zu vertreten. Eine solche Form der Mitteilung von Tatsachen und Beweismitteln reicht unter den gegebenen Umständen aus. Dies gilt insbesondere mit Rücksicht darauf, daß die Ermittlungen sich noch in der Anfangsphase befinden und die bei den Durchsuchungen aufgefundenen und vorläufig sichergestellten Unterlagen noch nicht vollständig ausgewertet worden sind (vgl. BGHR StPO § 147 Abs. 2 Teilakteneinsicht 2). Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 5 Abs. 4 MRK und Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. a MRK rügt, nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Stellungnahme vom 20. Mai 2003 zu der Beschwerdeschrift Bezug und tritt diesen bei.